Bergmar Daghov hat geschrieben:Das wäre nochmal eine andere Sache
Eigentlich nicht. Ich glaube, die wenigsten Menschen haben eine Vorstellung davon, was auf dem Bau ein Polier und seine Kolonne alles können müssen. (Gilt natürlich auf je eigene Art letztlich für alle Berufe.) Da sind ja beispielsweise nicht nur das Mauern und/oder Betonwände gießen an sich sowie die Kenntnis von Materialien und was sonst noch. Sie müssen u.a. auch Baupläne lesen und umsetzten können. Dabei entwickeln sich zudem Kenntnisse, was vor Ort in einer Gegend machbar ist und was nicht.
Auf der Baustelle gegenüber konnte man das gut beobachten. Es sollte ein besonderer Bau werden, etwas Bleibendes, von einem renommierten Architekturbüro aus einer anderen Stadt entworfen. Nun, ganz einfach war das offenbar dann nicht.
Immer wenn einer der Handwerker mit dem Handy telefonierte (Es wurde quasi zum Sinnbild für Problemchen, für Probleme über große Probleme bis hin zu Albtraum.), trabten Bauleiter ggf. mit betroffenen Firmenvertretern sowie Architekt bis hin zu größeren Abordnungen des Architekturbüros an. Manchmal konnte das ohne weiteres geklärt werden, manchmal mit etwas Aufwand erledigt, manchmal waren Änderungen der Pläne nötig, was natürlich auch wieder Geld kostet.
Beispiel: Ein Baggerfahrer war dabei Fundamente auszuheben. Irgendwann hielt er den Bagger an, besah sich seinen Plan, schüttelte den Kopf und zückte das Handy. Bauleiter kam, hörte und sah sich das Problem an (hatte irgendwas mit dem Untergrund und irgendwelchen Winkeln zu tun), telefonierte und alle, alle kamen. Der Baggerfahrer erklärte mit dem Bauleiter allen das Problem und sagte schließlich: "Wenn sie das so wollen, mache ich das, aber es wird so nicht funktionieren." Setzte sich in seinen Bagger und wartete weitere Entscheidungen ab. -> Baupause, Änderung der Pläne, weiter ging es.
Oft genug stand der Maurerpolier mit Gesellen an den Plänen, schüttelte den Kopf und telefonierte ... Andere Handwerker maßen und maßen, kratzten sich den Kopf und telefonierten ...
Zwischendurch kam es durch Änderungswünsche des Bauherrn zu Konfusionen, zuweilen hatten Bauarbeiter oder andere Handwerker gar nicht den neusten Plan bekommen.
Als der Bau fast fertig war, setzte Regen, der über einen Lüftungsschacht vor der Haustüre in den Bau eingedrungen war, Keller unter Wasser. Der Wasserschadensanierer "Das macht man so nicht!" bestätigte eine Fehlkonstruktion, hatte auch erklärt, woran es lag, aber das habe ich inzwischen schon wieder vergessen.
Es gab in diesem Fall sehr viele Probleme, die selbstverständlich nicht alle mit Planung und Konstruktion zu tun hatten, aber doch etliche.
Im Endeffekt wurde die Bauzeit durch Fehlplanungen und Fehlkonstruktionen sowie Planänderungen, mangelhaftem Putz, Fehlern bei Arbeiten an Dach und Balkonen und folgenden Rechtsstreitigkeiten um deutlich mehr als ein Jahr verlängert. Die Jungs, die Fundament und Rohbau hochgezogen, hatten wegen der frühzeitigen Rückfragen und Anmerkungen übrigens an der Zeitüberschreitung den geringsten Anteil.
Nachtrag aus meinem eigenen Lebensbereich. Ich habe Deutsch und Geschichte auf Lehramt für die Sekundarstufe II studiert und bin veränderten Konzepten nicht grundsätzlich abgeneigt. Manchmal bekommt man aber ein Hörnchen. Ich habe viele Jahre für die Jugendbildung Kurse gegeben, u.a. Hausaufgabenbetreuung und da mich so manches Mal gefragt, ob denn diese und jene Änderung wirklich durchdacht ist. Im Laufe der Jahre hat sich bei mir die Überzeugung durchgesetzt, dass es mehr als wünschenswert ist, dass Kinder in den ersten drei bis vier Schuljahren gründlich das Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, dazu noch Wissen um das eigene Umfeld (früher Heimatkunde, heute Sachkunde), das ist der Grundstock und gibt auf Dauer das Rüstzeug für alles weitere, auch für kritische Auseinandersetzungen mit allen möglichen Themen.
Bevor ich aufgehört habe, kamen sie noch mit "Schreiben nach Gehör" aus der Ecke. Eine zentrale Begründung war, dass das die Frustration über mangelhafte Rechtschreibkenntnisse abbaut, und man war überzeugt, dass sie die richtige Schreibweise von alleine einstellt. Nein, tut sie nicht, jedenfalls nicht bei den Kindern, mit denen ich zu tun hatte. Mal abgesehen davon, dass Leute aus der 9. Klasse meinten, das gelte auch für sie

, war das eine Katastrophe! Man konnte zum großen Teil nicht mal ansatzweise erahnen, was gemeint war. Fatta statt Vater zum Beispiel ist ja noch problemlos erkennbar, aber Fantasiekombinationen eben nicht, schon gar nicht wenn es um die Beantwortung von Fragen oder Erzählungen ging. Es hat auch nicht geholfen, sich das von den betreffenden Kindern zu fragen und vorlesen zu lassen, weil sie mit ihrem eigenen Buchstabensalat nicht zurecht kamen. Echt, da wäre ein Austausch vor Ort vermutlich hilfreich gewesen, bevor man damit auf die Kinder losgeht.
Der Optimist erklärt, dass wir in der besten aller Welten leben, und der Pessimist fürchtet, dass dies wahr ist. (James B. Cabell)
Lieben Gruß, Sylvia